Tagesthemen 9.11.21

What a shame! oder: Lobby-genehme News bei ARD und ZDF

Wäre ich Aus­bil­der für Public Rela­ti­ons, wür­de ich fol­gen­de Geschich­te erzählen:

Eines Mor­gens (sagen wir, es ist Anfang Novem­ber 2021) flat­ter­te beim Vor­stand eines gro­ßen (fik­ti­ven) deut­schen Auto­bau­ers ein Schrei­ben des Land­ge­richts Braun­schweig auf die Schreib­ti­sche. Ein gro­ßer Umwelt­ver­band hat­te erst­mals in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik eine Kli­ma­kla­ge gegen einen deut­schen Kon­zern ein­ge­reicht. Damit soll erreicht wer­den, dass die­ser für sei­ne Mit­ver­ant­wor­tung am Kli­ma­wan­del juris­tisch zur Rechen­schaft gezo­gen wird.

Solch image­schä­di­gen­de News rufen natür­lich die PR-Abtei­lung auf den Plan. Da mit hoher Wahr­schein­lich­keit der Umwelt­ver­band die Kla­ge öffent­lich machen wür­de, konn­te man ein Publik wer­den nicht verhindern.

Doch die PR-Pro­fis wären nicht PR-Pro­fis, wenn sie nicht eine genia­le Idee gehabt hät­ten: “Hey, wir wol­len doch bald eh ein neu­es Werk für E-Autos bau­en. Sol­len wir die Plä­ne nicht heu­te schon mal ankün­di­gen? Good news beat bad news!” 

Und so geschah es.

Und als in den vier gro­ßen Nach­rich­ten­sen­dun­gen des Lan­des - nen­nen wir sie “Tages­schau”, “Tages­the­men”, “heu­te” und “heu­te-jour­nal” - tat­säch­lich die­se Nach­richt zum Teil groß gebracht wur­de, aber die Kli­ma­kla­ge mit kei­nem ein­zi­gen Wort erwähnt wor­den war, wur­den im Vor­stand und der PR-Abtei­lung des gro­ßen Unter­neh­mens gleich meh­re­re Fla­schen Cham­pa­gner geleert.

Stell’ dir vor, da ist ’ne Nachricht und keiner bringt sie

Was sich anhört wie ein schlech­tes Mär­chen, ist mög­li­cher­wei­se nicht weit von der Wahr­heit entfernt. 

Am 9.11. lief die Welt­kli­ma­kon­fe­renz auf Hoch­tou­ren. Kli­mathe­men waren seit Beginn der COPCOP Con­fe­rence of the Par­ties. Damit ist die jähr­lich statt­fin­den­de Ver­trags­staa­ten­kon­fe­renz der UN-Kli­ma­rah­men­kon­ven­ti­on gemeint. auch in den Haupt­nach­rich­ten­sen­dun­gen gesetzt.

Aber: aus­ge­rech­net an die­sem Diens­tag gab die Kon­fe­renz nach­richt­lich offen­sicht­lich nicht viel her, wur­de in den genann­ten Sen­dun­gen zumin­dest nicht erwähnt.

Immer­hin erscheint auf tagesschau.de bereits am spä­ten Mit­tag ein Arti­kel zur Kli­ma­kla­ge von Green­peace gegen VW. 

Zu Recht: Nach allen übli­chen Nach­rich­ten­kri­te­ri­en war das schließ­lich eine Mel­dung von hohem natio­na­len Inter­es­se. Auch vor dem Hin­ter­grund, dass der Kli­ma­wan­del ein The­ma von aktu­el­ler und dau­er­haf­ter Bri­sanz und Rele­vanz ist und wirk­lich alle Bürger:innen betrifft. Und die Leser:innen erfuh­ren, dass die Klä­ge­rin durch die Umwelt­an­wäl­tin Roda Ver­he­yen ver­tre­ten wird, die inzwi­schen auch Rich­te­rin am Ham­bur­ger Ver­fas­sungs­ge­richt ist - was nicht zuletzt die Serio­si­tät der Kla­ge verdeutlicht.

Die­ser haus­ei­ge­ne ARDARD Arbeits­ge­mein­schaft der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land-Text belegt, dass es die Kli­ma­kla­ge eigent­lich auch auf die Ablauf­plä­ne der vier gro­ßen Nach­rich­ten­sen­dun­gen hät­te schaf­fen müs­sen. Doch dem war so nicht.

Die ers­te Mel­dung vom neu­en VW-Werk in Wolfs­burg brach­te die DPADPA Deut­sche Pres­se­agen­tur um 19:14 Uhr. Die News von der Kli­ma­kla­ge waren dage­gen schon seit dem Vor­mit­tag auf dem Markt. Und doch schaff­te es nur das VW-Werk in den Nach­rich­ten­block der “Tages­the­men”. Am Fol­ge­tag wur­de das The­ma sogar in Bei­trä­gen und Kom­men­ta­ren im ARD- und ZDFZDF Zwei­tes Deut­sches Fern­se­hen-Pro­gramm erschöp­fend behan­delt. Doch auch hier nicht ein Wort dazu, dass es die Kli­ma­kla­ge gibt. Und das, obwohl sie durch­aus gut zum The­ma gepasst hätte.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Redak­tio­nen der “Tages­schau”, der “Tages­the­men”, von “heu­te” und “heu­te-jour­nal” sind unbe­strit­ten kom­pe­tent. Umso rät­sel­haf­ter erscheint es, dass sie nicht in der Lage waren, die Mel­dung vom neu­en VW-Werk wenigs­tens kri­tisch ein­zu­ord­nen. Sie haben es über die ver­meint­lich (es geht zur­zeit ja noch um Plä­ne) guten Zukunfts­nach­rich­ten über und von VW ver­passt, ihren Zuschauer:innen mit­zu­tei­len, dass der Kon­zern in hohem Maße mit­ver­ant­wort­lich für die Kli­ma­kri­se sein soll und mög­li­cher­wei­se künf­tig dafür auch mit Kon­se­quen­zen zu rech­nen hat. Und so obsieg­te die Wirt­schafts­nach­richt über die Klima-Nachricht.

Die öffent­lich-recht­li­chen Sen­der beton­ten zuletzt wie­der­holt, dass sie bereits aus­rei­chend über den Kli­ma­wan­del, sei­ne Zusam­men­hän­ge und die Fol­gen berich­ten wür­den - allein die­ses kras­se Bei­spiel zeigt aber, wie weit weg sie vom eige­nen Anspruch sind.

Appendix

Ach ja: als mög­li­cher Aus­bil­der für Public Rela­ti­ons wür­de ich am Ende den Zuhö­ren­den doch noch mit auf den Weg geben, dass gute PR natür­lich auch kon­se­quent zu Ende gedacht wer­den muss. Die PR-Pro­fis des gro­ßen fik­ti­ven Kon­zerns waren näm­lich zu eif­rig damit beschäf­tigt gewe­sen, die “Kontra”-Nachricht zu stri­cken und an eine Nach­rich­ten­agen­tur durch­zu­ste­cken. Dar­über ver­ga­ßen sie völ­lig, dass eine so gute Nach­richt natür­lich auch auf das eige­ne News­por­tal der Home­page gehört. Da ist aber bis heu­te nichts von einem neu­en E-Auto-Werk zu lesen. Ups!


Die Bei­trä­ge im Medi­en­Check geben die Mei­nung der jewei­li­gen Autorin, bezie­hungs­wei­se des jewei­li­gen Autors wie­der.
Die­se muss nicht der Mei­nung von KLIMA° vor acht entsprechen.