What a shame! oder: Lobby-genehme News bei ARD und ZDF
Wäre ich Ausbilder für Public Relations, würde ich folgende Geschichte erzählen:
Eines Morgens (sagen wir, es ist Anfang November 2021) flatterte beim Vorstand eines großen (fiktiven) deutschen Autobauers ein Schreiben des Landgerichts Braunschweig auf die Schreibtische. Ein großer Umweltverband hatte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Klimaklage gegen einen deutschen Konzern eingereicht. Damit soll erreicht werden, dass dieser für seine Mitverantwortung am Klimawandel juristisch zur Rechenschaft gezogen wird.
Solch imageschädigende News rufen natürlich die PR-Abteilung auf den Plan. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit der Umweltverband die Klage öffentlich machen würde, konnte man ein Publik werden nicht verhindern.
Doch die PR-Profis wären nicht PR-Profis, wenn sie nicht eine geniale Idee gehabt hätten: “Hey, wir wollen doch bald eh ein neues Werk für E-Autos bauen. Sollen wir die Pläne nicht heute schon mal ankündigen? Good news beat bad news!”
Und so geschah es.
Und als in den vier großen Nachrichtensendungen des Landes - nennen wir sie “Tagesschau”, “Tagesthemen”, “heute” und “heute-journal” - tatsächlich diese Nachricht zum Teil groß gebracht wurde, aber die Klimaklage mit keinem einzigen Wort erwähnt worden war, wurden im Vorstand und der PR-Abteilung des großen Unternehmens gleich mehrere Flaschen Champagner geleert.
Stell’ dir vor, da ist ’ne Nachricht und keiner bringt sie
Was sich anhört wie ein schlechtes Märchen, ist möglicherweise nicht weit von der Wahrheit entfernt.
Am 9.11. lief die Weltklimakonferenz auf Hochtouren. Klimathemen waren seit Beginn der COPCOP Conference of the Parties. Damit ist die jährlich stattfindende Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention gemeint. auch in den Hauptnachrichtensendungen gesetzt.
Aber: ausgerechnet an diesem Dienstag gab die Konferenz nachrichtlich offensichtlich nicht viel her, wurde in den genannten Sendungen zumindest nicht erwähnt.
Immerhin erscheint auf tagesschau.de bereits am späten Mittag ein Artikel zur Klimaklage von Greenpeace gegen VW.
Zu Recht: Nach allen üblichen Nachrichtenkriterien war das schließlich eine Meldung von hohem nationalen Interesse. Auch vor dem Hintergrund, dass der Klimawandel ein Thema von aktueller und dauerhafter Brisanz und Relevanz ist und wirklich alle Bürger:innen betrifft. Und die Leser:innen erfuhren, dass die Klägerin durch die Umweltanwältin Roda Verheyen vertreten wird, die inzwischen auch Richterin am Hamburger Verfassungsgericht ist - was nicht zuletzt die Seriosität der Klage verdeutlicht.
Dieser hauseigene ARDARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland-Text belegt, dass es die Klimaklage eigentlich auch auf die Ablaufpläne der vier großen Nachrichtensendungen hätte schaffen müssen. Doch dem war so nicht.
Die erste Meldung vom neuen VW-Werk in Wolfsburg brachte die DPADPA Deutsche Presseagentur um 19:14 Uhr. Die News von der Klimaklage waren dagegen schon seit dem Vormittag auf dem Markt. Und doch schaffte es nur das VW-Werk in den Nachrichtenblock der “Tagesthemen”. Am Folgetag wurde das Thema sogar in Beiträgen und Kommentaren im ARD- und ZDFZDF Zweites Deutsches Fernsehen-Programm erschöpfend behandelt. Doch auch hier nicht ein Wort dazu, dass es die Klimaklage gibt. Und das, obwohl sie durchaus gut zum Thema gepasst hätte.
Anspruch und Wirklichkeit
Die Redaktionen der “Tagesschau”, der “Tagesthemen”, von “heute” und “heute-journal” sind unbestritten kompetent. Umso rätselhafter erscheint es, dass sie nicht in der Lage waren, die Meldung vom neuen VW-Werk wenigstens kritisch einzuordnen. Sie haben es über die vermeintlich (es geht zurzeit ja noch um Pläne) guten Zukunftsnachrichten über und von VW verpasst, ihren Zuschauer:innen mitzuteilen, dass der Konzern in hohem Maße mitverantwortlich für die Klimakrise sein soll und möglicherweise künftig dafür auch mit Konsequenzen zu rechnen hat. Und so obsiegte die Wirtschaftsnachricht über die Klima-Nachricht.
Die öffentlich-rechtlichen Sender betonten zuletzt wiederholt, dass sie bereits ausreichend über den Klimawandel, seine Zusammenhänge und die Folgen berichten würden - allein dieses krasse Beispiel zeigt aber, wie weit weg sie vom eigenen Anspruch sind.
Appendix
Ach ja: als möglicher Ausbilder für Public Relations würde ich am Ende den Zuhörenden doch noch mit auf den Weg geben, dass gute PR natürlich auch konsequent zu Ende gedacht werden muss. Die PR-Profis des großen fiktiven Konzerns waren nämlich zu eifrig damit beschäftigt gewesen, die “Kontra”-Nachricht zu stricken und an eine Nachrichtenagentur durchzustecken. Darüber vergaßen sie völlig, dass eine so gute Nachricht natürlich auch auf das eigene Newsportal der Homepage gehört. Da ist aber bis heute nichts von einem neuen E-Auto-Werk zu lesen. Ups!

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