Weltklimakonferenz
Herr Angres und die COP - ein Kommentar

Bei einer Fernseh-Zuschauerin, die sich über die Weltklimakonferenz in Glasgow ausschließlich über die ZDF „heute“-Nachrichten um 19 Uhr informiert hat, stellt sich am Ende der zweiwöchigen Verhandlungen wahrscheinlich ein angenehm wohliges Gefühl ein: Die großen Länder streiten und einigen sich, Länder wie Brasilien und Indien sind ein Problem, aber es geht voran – nicht zuletzt durch Deutschland! Deutschland?
Willkommen in Volker Angres‘ Welt. Angres, Leiter der ZDF-Umweltredaktion, war für den Sender vor Ort, die meisten Beiträge für die „heute“-Nachrichten stammten von ihm und in jeder Liveschalte aus Glasgow hörte man seine Einschätzungen. Während der zwei Wochen COPCOP Conference of the Parties. Damit ist die jährlich stattfindende Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention gemeint.-Berichterstattung ist einiges irritierend von dem, was Herr Angres sagt – ebenso irritierend wie einiges, das er einfach ignoriert.
Klima-Vorreiter Deutschland
Volker Angres arbeitet seit mehr als 20 Jahren für das ZDF und hatte sich in der Vergangenheit in Sachen Falschinformation bereits zum Thema Infraschall und Windenergieanlagen verdient gemacht. Zuletzt löste er einige Programmbeschwerden (unter anderem von KLIMA° vor acht) aus, nachdem er behauptet hatte, der Bau neuer moderner deutscher Kohlekraftwerke in Afrika oder Indien würde den Klimaschutz voranbringen – das hätte der aktuelle IPCCIPCC Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - oft als “Weltklimarat” bezeichnet - ist eine Institution der Vereinten Nationen. In seinem Auftrag tragen Fachleute weltweit regelmäßig den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn aus wissenschaftlicher Sicht.-Bericht so empfohlen. Beides ist bekanntermaßen Humbug. Nun in Glasgow stürzt er sich dann wieder auf die Kohle und Afrika, genauer: Südafrika.
Am 4. November stellt Angres die Initiative mehrerer Länder - auch Deutschland - vor, Südafrika beim Kohleausstieg zu unterstützen. Das Land bezieht einen Großteil seines Energiebedarfs aus Kohlekraft, und Initiativen wie diese wurden von vielen Beobachtern als hilfreich und notwendig eingeschätzt. Grund genug, darüber zu berichten – irritierend ist nur, dass es tatsächlich für Angres das einzige Thema bei der COP ist, bei dem es um die Rolle Deutschlands geht. Ansonsten: gähnende Leere. Nichts zu anderen Initiativen, denen sich Deutschland mehrfach verspätet und/oder mit Ausnahmen angeschlossen hat – einfach nichts. Kritisch über das Verhalten des Landes zu berichten, für welches man berichtet, scheint nicht so das Ding des ZDF-Korrespondenten.
Überhaupt wird in den ZDF „heute“-Nachrichten um 19 Uhr die Rolle Deutschlands auf der Weltklimakonferenz kaum thematisiert. Und bei Volker Angres spielt Deutschland auf der COP immer nur dann eine Rolle, wenn er das Land als Klima-Vorreiter präsentieren kann. Gegen Ende der Konferenz hat er dann wieder Gelegenheit, sein Herzensthema (Kohle, Afrika, Indien) aufzugreifen: Es geht um die Formulierung der Abschlusserklärung und die Weigerung Indiens, darin einen internationalen Ausstieg aus der Kohleverstromung festzuschreiben. „Indien mag den Kohleausstieg nicht“, kommentiert Angres in der Liveschalte und bezieht sich damit auf den vorherigen Beitrag, der zumindest kurz andeutete, was die Gründe dafür sein könnten. Aber Deutschland, leuchtendes Vorbild in Sachen Kohleausstieg, rettet die Verhandlungen – so klingt es zumindest bei Angres: „Die deutsche Delegation hat da nachverhandelt und hat Indien flugs hinter den Kulissen mal eben in eine Kooperation mit Südafrika geholt (…), das könnte die Gemüter sehr besänftigen.“
Fahrlässig mit Fakten
Dann folgt ein Fauxpas, den er umgehend selbst hätte bemerken müssen: „Deutschland hat heute auch angekündigt, 10 Milliarden für das sogenannte Santiago-Netzwerk bereitzustellen, das ist ein Netzwerk, das den ärmsten Ländern hilft, mit den Schäden umzugehen… Das sind positive Signale.” 10 Milliarden? Das wäre aber tatsächlich mal ein positives Signal für das heillos unterfinanzierte Netzwerk – endlich übernimmt ein Industrieland mehr Verantwortung für Loss and Damage der Klimakrise! Wer jetzt von Deutschland überrascht ist: Tatsächlich sind es 10 Millionen Euro. Volker Angres hat sich mal eben um den Faktor 1000 vertan.
Es ist diese gewisse Fahrlässigkeit im Umgang mit Fakten, gepaart mit Realitätsverzerrung und einer unangenehmen neokolonialistischen Attitüde, bei der sich die Frage aufdrängt: Welche Qualifikation muss der Leiter einer Umweltredaktion beim ZDF eigentlich haben? Oder andersherum: Wie viele Aussetzer und obskure Meinungsäußerungen darf er sich in dieser Position erlauben? Ließe man Ähnliches dem Leiter der Politikredaktion auch durchgehen?
Das krönende Finale
In einem krönenden Finale schafft es Angres, sich noch einmal selbst zu übertreffen. Er fasst gegen Ende der Konferenz bilanzierend zusammen, dass die Länder das 1,5-Grad-Ziel bestärkt hätten und bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein müssen. Dann sagt er: „Das sagen auch große Konzerne: BP war hier, BMW war hier, Nestlé war hier und die wollen das alle gerne machen! (Anm.: eigene Hervorhebung gemäß Angres‘ Betonung).
BP war hier? Wie schön! Man wollte sich ja beinahe schon Sorgen machen um den Ölmulti – hätte ja sein können, dass das erstmalige Sponsoring-Verbot der Weltklimakonferenz durch die fossile Industrie irgendwie zu hart war. Warum BP überhaupt vor Ort war, das scheint Angres nicht zu interessieren. Dabei ist das eine Frage, die man sich als Journalist stellen, oder – ganz verwegen – sogar kritisch beleuchten könnte. Umso mehr, weil nur drei Tage zuvor bekannt geworden war, wie viele Lobbyist:innen der fossilen Industrie sich auf der COP tummelten, nämlich mindestens 503.
Beyond journalism
Stattdessen: BP, das Unternehmen, das sich nicht mehr „British“, sondern „Beyond“ Petroleum nennt, das schon seit Jahrzehnten nachgewiesenermaßen um die Auswirkungen seines Geschäfts Bescheid weiß, das etliche verheerende Umweltzerstörungen, etwa die Ölpest im Golf von Mexiko, zu verantworten hat, das sich wegen andauernder Desinformation der Öffentlichkeit vor dem US-Kongress verantworten muss; das aktuell eine große PR-Kampagne mit viel heißer „Net zero“-Luft fährt und gleichzeitig munter weiter Ölfelder erschließt – dieses Unternehmen will so gerne was machen?! (Von der Klima- und Umweltbilanz von BMW und Nestlé – zwei allseits bekannte grüne Unternehmen – gar nicht erst zu reden, die Zeichenzahl hier ist begrenzt).
Was muss im Kopf eines Reporters vor sich gehen, ausgerechnet diesen Firmen zu attestieren, dass sie das Klima schützen wollen? Dann legt Angres sogar noch nach, indem er behauptet:
„Das scheitert gerade noch am Artikel 6 des Klima-Abkommens.“ Diese Unternehmen wären also praktisch alle schon längst klimaneutral, wenn da nur diese Politik nicht wäre! Tatsächlich verhindert Artikel 6 keineswegs, dass Firmen Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Es geht darin um den internationalen Emissionshandel, also - einfach gesagt - um Regeln, wie solche Maßnahmen verrechnet werden dürfen.
Herr Angres und seine Berichterstattung von der Klimakonferenz: Für solchen Einsatz bekommen manche Leute Geld von der Industrie. Die nennt man dann allerdings Lobbyisten und nicht Journalisten.
Man muss es selbst gesehen haben: Hier ab Minute 10:04.
Um es mit den Worten von COP-Präsident Alok Sharma zu sagen:
“For Heaven’s Sake!”
fri

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Diese muss nicht der Meinung von KLIMA° vor acht entsprechen.