Ungeprüft, einseitig, falsch: unsere Programmbeschwerde gegen einen Tagesschau-Bericht

Am 7. Juni 2025 ver­brei­te­te die Tages­schau die Behaup­tung, die EU wür­de Umwelt­ak­ti­vis­ten für poli­ti­sche Kam­pa­gnen bezah­len. Wir von KLIMA° vor acht sind der Auf­fas­sung, dass die Redak­ti­on damit ihre jour­na­lis­ti­sche Sorg­falts­pflicht grob ver­letzt und eine bereits wider­leg­te Falsch­in­for­ma­ti­on unkri­tisch über­nom­men hat, was gegen zen­tra­le Pro­gramm­grund­sät­ze ver­stößt. Aus die­sem Grund haben wir als Ver­ein am 20. Juni die nach­fol­gend wie­der­ge­ge­be­ne förm­li­che Pro­gramm­be­schwer­de beim NDR-Rund­funk­rat eingereicht.

Pro­gramm­be­schwer­de: Bei­trag „Kam­pa­gnen für Kli­ma­po­li­tik: EU-Gel­der für Umwelt­ak­ti­vis­ten?“ vom 7. Juni 2025, ver­öf­fent­licht auf tagesschau.de sowie in TV-, Radio- und Social-Media-Kanä­len der ARDARD Arbeits­ge­mein­schaft der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten der Bun­des­re­pu­blik Deutschland

Sehr geehr­te Damen und Herren,

mit gro­ßem Befrem­den haben wir die Bericht­erstat­tung der „Tages­schau“ vom 7. Juni 2025 zum The­ma „EU-Gel­der für Umwelt­ak­ti­vis­ten?“ zur Kennt­nis genom­men. Der Bei­trag, der auf einer Recher­che der „Welt am Sonn­tag“ basiert, wur­de von der Redak­ti­on offen­bar ohne die gebo­te­ne jour­na­lis­ti­sche Sorg­falt über­nom­men und ver­brei­tet. Er miss­ach­tet zen­tra­le Pro­gramm­grund­sät­ze und jour­na­lis­ti­sche Stan­dards in ekla­tan­ter Weise.

Wir rei­chen hier­mit förm­li­che Pro­gramm­be­schwer­de ein. Der Bei­trag ver­stößt gegen die in § 8 for­mu­lier­ten Pro­gramm­grund­sät­ze des Staats­ver­tra­ges über den Nord­deut­schen Rund­funk (NDR-Staats­ver­trag). Ins­be­son­de­re wird gegen Absatz 2 ver­sto­ßen, der besagt: „Bericht­erstat­tung und Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen haben den aner­kann­ten jour­na­lis­ti­schen Grund­sät­zen […] zu ent­spre­chen. Sie müs­sen unab­hän­gig und sach­lich sein. Nach­rich­ten sind vor ihrer Ver­brei­tung mit der nach den Umstän­den gebo­te­nen Sorg­falt auf Wahr­heit und Her­kunft zu prüfen.“

Zur Kri­tik im Einzelnen:

Der Bericht miss­ach­tet das Gebot der jour­na­lis­ti­schen Aus­ge­wo­gen­heit und ver­fehlt das Ziel, umfas­send, unab­hän­gig und sach­lich zu infor­mie­ren. Damit ver­stößt er gegen § 5 Abs. 5 und Abs. 6 des WDR-Geset­zes. Außer­dem ver­letzt er die WDR-Pro­gramm­richt­li­ni­en gemäß § 4a WDR-Gesetz. Des­we­gen rei­chen wir hier­mit eine förm­li­che Pro­gramm­be­schwer­de ein.

Zur Kri­tik im Einzelnen:

  1. Ekla­tan­te Ver­let­zung der jour­na­lis­ti­schen Sorg­falts­pflicht:                            
    Der schwer­wie­gends­te Vor­wurf ist das Ver­säum­nis der Redak­ti­on, die Behaup­tun­gen der „Welt am Sonn­tag“ mit bereits öffent­lich bekann­ten und zugäng­li­chen Fak­ten abzu­glei­chen. Bereits im Febru­ar 2025 – also vier Mona­te vor der Bericht­erstat­tung der Tages­schau – hat­te das Medi­um „Poli­ti­co“ die betref­fen­den Ver­trä­ge zwi­schen der EU-Kom­mis­si­on und NGOs ana­ly­siert und kam zu dem Schluss, dass es kei­ner­lei Bele­ge für eine ver­deck­te, zweck­ge­bun­de­ne Beauf­tra­gung von Lob­by­kam­pa­gnen oder Kla­gen gibt. Die Fak­ten­la­ge, wel­che die Vor­wür­fe der „Welt“ im Kern ent­kräf­te­te, war also längst bekannt und wäre durch eine simp­le Recher­che auf­find­bar gewe­sen. Die „Tages­schau“ hat hier ihre urei­ge­ne Auf­ga­be der Prü­fung und Ein­ord­nung unter­las­sen und statt­des­sen eine bereits wider­leg­te Falsch­in­for­ma­ti­on unkri­tisch mul­ti­pli­ziert. Dies stellt einen ekla­tan­ten Ver­stoß gegen die in § 8 NDR-Staats­ver­trag fest­ge­schrie­be­ne Sorg­falts­pflicht dar. 
  1. Feh­len­de Aus­ge­wo­gen­heit und ver­spä­te­te Kor­rek­tur:  
    Weder der EU-Kom­mis­si­on noch den beschul­dig­ten NGOs wur­de die Mög­lich­keit zu einer Stel­lung­nah­me zu den Vor­wür­fen gege­ben. Statt­des­sen wer­den im ursprüng­li­chen Bei­trag aus­schließ­lich die Per­so­nen aus dem „Welt“-Artikel zitiert. Das wider­spricht unter ande­rem den NDR-Pro­gramm­richt­li­ni­en, die für Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen und -ange­bo­te vor­schrei­ben, dass Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen über­prüft wer­den müs­sen. So heißt es in 3. b): „Sind für eine kri­tisch  ana­ly­ti­sche Sen­dung Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen vor­ge­se­hen, die sich gegen eine Per­son oder Insti­tu­ti­on rich­ten, so gehört es zur sorg­fäl­ti­gen Vor­be­rei­tung der Sen­dung, die Betrof­fe­nen soweit erfor­der­lich und mög­lich zu hören und deren Auf­fas­sung nicht außer Acht zu las­sen.“ 
    Die Vor­ge­hens­wei­se der Redak­ti­on nach der Erst­ver­öf­fent­li­chung ver­schärft den Ver­stoß. Ohne Kennt­lich­ma­chung der Ände­run­gen (durch einen Trans­pa­renz­hin­weis o.ä.) wur­den dem Bei­trag erst Stun­den nach der Ver­öf­fent­li­chung schritt­wei­se wei­te­re Per­spek­ti­ven hin­zu­ge­fügt, wie etwa ein State­ment von Lob­by­con­trol (13:28 Uhr) oder eine Stel­lung­nah­me der EU-Kom­mis­si­on selbst, die die Vor­wür­fe zurück­weist (17:54 Uhr). In der Zwi­schen­zeit wur­de die ursprüng­li­che, ein­sei­ti­ge und irre­füh­ren­de Dar­stel­lung mil­lio­nen­fach ver­brei­tet. Die­ses Vor­ge­hen miss­ach­tet das Gebot der Aus­ge­wo­gen­heit und Sach­lich­keit und hat zu einer mas­si­ven Des­in­for­ma­ti­ons­wel­le beigetragen. 
  1. Per­sis­tie­ren­de Falsch­in­for­ma­ti­on auf Social Media:                            
    Beson­ders gra­vie­rend ist die Ver­brei­tung auf Social-Media-Kanä­len wie Insta­gram. Wäh­rend die Text-Cap­ti­ons Stun­den spä­ter ange­passt wur­den, blei­ben die ursprüng­li­chen, fal­schen Behaup­tun­gen in den nicht edi­tier­ba­ren Bild-Slides per­ma­nent sicht­bar und wer­den wei­ter­hin geteilt. Die „Tages­schau“ hat somit sehen­den Auges eine Falsch­in­for­ma­ti­on pro­du­ziert, deren Kor­rek­tur die Ziel­grup­pe nur unzu­rei­chend erreicht. Der Scha­den für die betrof­fe­nen NGOs und das Ver­trau­en in die EU-Insti­tu­tio­nen war zu die­sem Zeit­punkt längst ange­rich­tet und wird durch die Per­sis­tenz der Inhal­te im Netz perpetuiert.

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass die Tages­schau hier ihrer publi­zis­ti­schen Ver­ant­wor­tung nicht gerecht gewor­den ist. Statt auf­klä­re­risch zu wir­ken, wur­de eine unzu­tref­fen­de, skan­da­li­sie­ren­de Erzäh­lung ohne die not­wen­di­ge kri­ti­sche Distanz und Prü­fung ver­brei­tet. Dies scha­det nicht nur dem Anse­hen der Tages­schau als ver­trau­ens­wür­di­ge Nach­rich­ten­quel­le, son­dern auch dem öffent­li­chen Dis­kurs und dem Ver­trau­en in demo­kra­ti­sche Institutionen. 

Wir for­dern Sie auf, zu die­sem Sach­ver­halt umge­hend Stel­lung zu neh­men und bit­ten um eine geson­der­te Ant­wort zu der von uns vor­ge­brach­ten Beschwerde. 

Mit freund­li­chem Gruß 

Frie­de­ri­ke May­er, 1. Vor­sit­zen­de  •  Dani­el Kulms, Mit­glied des Vorstandes 


Quel­len zur Bericht­erstat­tung: 
Online-Arti­kel: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-kommission-bezahlung-umweltverbaende-100.html 
Insta­gram-Post 1: https://www.instagram.com/p/DKl96_xssyq/ 
Insta­gram-Post 2: https://www.instagram.com/p/DKmZ6kWoQwr/ 

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